Hochferner Nordwand
10.04.2023
Wie immer mit den Öffis düsen die Magdi und ich ins Val di Vizze. Von der letzten Bushaltestelle nimmt uns direkt noch ein Italienisches Touri-Pärchen die 2km zum Gasthof Stein mit, die dort einen Spaziergang machen wollen – im weißen Pelzmantel. Spazierengehen ist für uns ab hier auch angesagt. Fast genauso elegant wie die beiden Italiener schlagen wir uns mit den Ski aufm Rucksack durchs Unterholz, bis wir auf ca. 1800 auf die Brettl umsteigen können.


Mal durch brutzelnden Sonnenschein, mal durch eisigen Wind und Schneegestöber erreichen wir das Günther-Messner-Biwak, während unsere Ski vor lauter Anstollen eher als Stelzen bezeichnet werden sollten. In der winzigen gelben Biwakschachtel verbringen wir eine einsame und - wenn auch etwas frostig - gemütliche Nacht.


In der Dämmerung steigen wir ein paar Höhenmeter am Moränenrücken entlang auf, um an deren Ende die Rinne zum Einstieg der Wand abzufahren. Nach wenigen Spitzkehren steigen wir bald auf die Steigeisen um und stapfen vor uns hin, während die Bergspitzen hinter uns in der ersten Morgensonne zu leuchten beginnen.


Ab der ersten „Eisstufe“, die weder durchs Eis begangen wird, noch eine Stufe ist, gehen wir, immer mit einer Eisschraube zwischen uns, am laufenden Seil, da wir uns genau in der Höhe und Exposition des vorherrschenden Altschneeproblems befinden. Von der vergangenen Woche hat es auch noch einiges an Neuschnee, was uns zu echten Maulwürfen mutieren lässt und ordentlich auf die Haxn geht. Trotzdem kommen wir gut voran und erreichen relativ schnell die zweite Steilstufe, die aus einem imposanten Eisbruch besteht.


Da dieser allerdings ziemlich zerklüftet ausschaut, halten wir uns an den rechten Rand, obwohl wir von Anfang an sehen, dass ma da ned wie im Tourenbericht beschrieben einfach rechts im Schnee vorbeistapfen kann. Dafür ist die Schneehöhe in der Wand eindeutig zu gering und so grinst uns frech eine kurze aber steile Mixedstufe zwischen Hängegletscher und plattigem Felsaufschwung entgegen. Auf Zehenspitzen stehend bohrt die Magdi eine Standschraube in das überhängende Eis, glücklich um jeden Millimeter Größe, den sie besitzt, und das alles auf dem Rand einer imposanten Spalte, in die sie kurz davor fast eingebrochen wär. Der ungebundene Neuschnee bietet absolut keine hilfreiche Trittstufe und die Eisgeräte finden auch kein Eis auf dem Fels. Ja mei, dann muss halt genullert werden. Das Gletschereis mit seinen feinen Gesteinseinschlüssen ist zwar wunderschön, aber die Eisschrauben frisst mir des harte Monster ned gern. So is es zwar a ordentlicher Kraftakt aber mit top Teamwork is ja alles möglich… Kurz nochmal ein Stapfstück und scho wartet wieder eine Kraxlpassage auf uns. Die Sonnenstrahlen am Ende der Felsstufe kündigen uns allerdings das Ende der 2. Steilstufe an und geben uns nochmal einen Motivationsschub – im Gegenteil zu dem Einstiegsstück, was scho wieder ziemlich plattig dreinschaut. Wenigstens haben diesmal aber die Pickel auch Eis zum Fressen, zwar dünn aber ned schlecht und auch das überhängende Eis auf der linken Seite bietet ein paar Hooks.


Es is echt immer wieder unglaublich wie unmerklich bei sowas die Zeit dahinrast…
Als wir wieder auf freier Firnfläche sind, erleben wir den sehnsüchtig erwarteten Nordwandmoment und strahlen mit der Sonne um die Wette. Bloß noch durch das flachere Stück nach links queren und dann den letzten Gipfelhang hinauf, denken wir – bevor wir unsre mühsamsten 200 Hm stapfen: es ist nochmal richtig tief zum Spuren, noch dazu in recht trockenem Schnee, bei dem sofort alles wegbricht, wenn man keine richtig großen kraftraubenden Schritte macht. Und weil des ned langt, is der Untergrund so hart und rutschig, dass die Steigeisen entweder 3 Schläge oder 3mal so viel Energie in einem Tritt brauchen, um gscheidn Halt zum haben. Da hats uns dann irgendwann fei auch echt glangt...

Mit schweren Haxn kommen wir nach einer Ewigkeit, in der wir gefühlt auf der Stelle gestapft sind, am Gipfel an. Die Sonne macht unmissverständlich klar, dass jetzt vollgas Frühling is und brennt uns absolut gnadenlos die Gesichter weg – ja, muss ma jetz ned sagen was wir Vollpfosten beide vergessen ham – mei mia san ja a zum ersten moi am Berg heid, da deaf ma des scho moi...
Beim Anblick des Gipfelhangs is sofort unübersehbar, dass ma auch hier ned so problemlos easy wie im Tourenbericht steht, einfach ins Gletscherbecken runterfahren kann: Der Schneemangel begrüßt uns mit einem großen Schrofenband, das sich einmal quer über den ganzen Hang zieht. Wir können von hier oben nicht sehen, wie weit die Schrofen runter gehen, geschweige denn, wo sie die geringste Stufe bilden. Das Einzige, was wir sehen, ist, dass es keine Durchfahrt und auch keinen vernünftigen Abseiler gibt. Meinem Bauchgefühl folgend fahre ich so weit es geht in das steile Gelände rein und baue, mangels Alternativen, den definitiv schönsten Abseiler, den ich je gebaut hab: ein brüchiger Schrofenhaufen, der sich durch eine kleine Nase gegen den Hang absetzt. Wird scho halten für des kurze Stück, ma kann ja eh noch Gewicht mit den Füßen wegnehmen... Gut unten angekommen, stellen wir fest, dass wir einfach nur Massl kapt ham mit unsrer Wahl: Wir ham mit Abstand die kürzeste Stufe erwischt - die einzige, wo es möglich war, mit einem Abseiler drüberzukommen. Links und rechts daneben wären wir in einem riiichtig großen Absatz gelandet...

Endlich aufm Gletscher kurven wir im Sulz dahin, weiter unten im Slalom durch das schneearme, felsige Gelände. Der Gegenanstieg bei der Schlucht ist zum Glück schon eingespurt, da gehen die 150 Hm diesmal ganz fix. Auf der restlichen Abfahrt ist die Schneeauflage schon eher als durchsichtig zu beschreiben, aber wir kommen noch überraschend gut bis zum Holzsteg über den Bach. Ab hier stapfen wir in der matschigen Wiese über den Sommerweg weiter. Diesmal gehen wir zum Parkplatz, weil wir uns von der Forststraße noch ein paar fahrbare Meter erhoffen. Im An-und-Abschnall-Modus kommen wir so auch noch einige Höhenmeter runter und haben am Gasthof wieder das Glück, von anderen Tourengehern bis zur Bushaltestelle mitgenommen zu werden.


Scho wieder a ziemliches Traumdagerl – abgesehen von dem sich schälenden Gesicht und den Blasen auf den Lippen, die uns noch einige Tage später an unser kleines Abenteuer erinnern...
Lehrreich auch wieder, wie sehr sich solche Touren mit dem Klimawandel mittlerweile einfach schon verändert haben – selbst wenn die Berichte keine 30 Jahre alt sind – und wie sie sich in Zukunft auch noch entwickeln werden...