Alpinradlmadl

Alpinkraxln 18. Okt. 2022

An einem sonnigen Nachmittag, an dem Maren und ich aufm Balkon der Sternwärter-WG abenteuerlich vor uns hinträumten von wilden Kletterradreisen, fiel es uns auf einmal wie Sternschnuppen von den Augen, dass wir auch im Sommerurlaub gar keine Weltreise machen müssen, um ins Kletter-Abenteuer zu starten, sondern dass es eigentlich direkt hinter der Haustür losgehen kann. Wir blätterten durch das Longlinesbuch und mit jeder Seite wurde aus einem Wirrwarr aus fantastischen Träumen ein konkreter Plan…

1.Tag: Mi 13.07.22; 7:30 Uhr Andechsstraße

Als aller Erstes fällt uns lachend auf, dass wir nicht nur beide einen vollbepackten Anhänger am Radl, Zustiegsschuhe und einen Kletterhelm anhaben, sondern auch exakt die gleiche Kletterhose und zu allem Überfluss, beide auch noch ein grau-meliertes T-Shirt (wir einigen uns einfach drauf, dass dieser peinliche Partner-Look unsere Teamkleidung ist)

Hochmotiviert und voller Vorfreude starten wir Richtung Falzthurntal. Kurz nach Jenbach wartet die erste ordentliche Steigung in der prallen Sonne auf uns. Uns läuft die Soße runter und die Anhänger ziehen langsam gut in die Wadl (bzw. vor allem in die falsche Richtung) als uns auf den letzten Höhenmetern zum Aachensee als erstes gleich mal die Kette reißt – Aber zum Glück können unsre Madlhände nicht nur Leisten wegzwicken und so ist dieses Missgeschick im nu gefixt. Schon geht’s weiter, am Aachensee vorbei, ins Tal eini und bissl aufi, steh ma bald schon an da Gramaialm. Dort wollten wir eigentlich nur ganz unschuldig unser Wasser auffüllen, kommen aber gar nicht dazu, weil wir von zwei begeisterten Touristen für ein Fotoshooting beschlagnahmt werden. Schließlich kommen wir aber doch noch los und holpern weiter auf der Schotterstraße ins Tal rein bis zu einem schattigen Platzl nahe des Gramaier Wasserfalls. Hier sehen wir, dass wir jetzt auch noch einen Platten haben, machen aber erstmal Brotzeit und lassen das eine Sache von später sein. Nach einem entspannten Nachmittag voller erfüllender Gespräche finden wir ein zauberhaftes, geheimes Übernachtungsplatzl im Wald.

Tag 2:

Nach einer erholsamen Nacht, geweckt von ein, zwei Regentrepfal, verspeisen wir am frühen Morgen den Rest unserer Brühwürfelspaghetti alla Pesto und starten auf zur Lamsenjochhütte. Hier ziehen wir endlich unser Klettergraffel an und laufen zum Einstieg unserer Abenteuerufwärmtour. Nach 2,5h entspanntem, schönen Alpinklettern stehen wir oben am windigen Grat und haben uns direkt mal „Süchtig“ (5 Sl., 6-, Rotwandlspitze) auf schönen, rauhen Karwendelkalk gemacht.

Nach einem fixen Abstieg durch ein riesen Loch in der Wand und über einen Klettersteig, auf dem wir zwei verdutzen Herren beim konzentrierten Klettersteiggehen begegnen, kommen wir pünktlich zur Mittagshitze zur Hütte zurück. Kurze Nusspause und zurück zu den Radln, wo wir en detail unsere morgige Tour visualisieren. Wir packen unsere Rucksäcke optimal mit dem Kletterzeug und einem riesen Haufen Vorfreude, sowie 2 weitere mit allem, was wir für den Abend und die Nacht brauchen. Unser nächstes Biwak schlagen wir direkt unter der Sonnjoch Südwand in einem dichten Latschenfeld auf, zwar nicht ganz so bequem wie das zuvor, doch definitiv zeitoptimiert für unseren großen Plan. Nachdem wir uns an der Alm nochmal nach dem Wetter erkundigt haben, legen wir uns beruhigt und voller Vorfreude um 19 Uhr in unsere Schlafsäcke.

Tag 3:

Ein paar Stunden vor unserem Wecker werden wir um Mitternacht durch Regen geweckt. Wir schrecken auf und wenige Augenblicke später fällt unser großes Vorhaben ins Wasser. Wir spannen die Unterlegplane vom Zelt wie ein großes Tarp über uns und legen uns noch unbequemer hin um unsere beiden Köpfe im Trockenen zu halten. Mit etwas angefeuchteter Laune frühstücken wir diesmal nicht die zweite Hälfte vom Abendessen, denn die ist unserem Hunger Anfall zur nassen Mitternachtsstunde zum Opfer gefallen. Nach Müsli mit Wasser packen wir in einer Regenpause unseren ganzen Kram zam, ziehen die Radl ausm Gebüsch und tunen ein drittes mal am Radl herum. Falls wir es noch nicht erwähnt haben, übrigens ein drittes Mal am gleichen Radl.

Nun satteln wir die Anhänger und rollen ausm Tal raus, Richtung Internetempfang, um uns diesmal einen verlässlichen Wetterbericht abzuholen. Nachdem wir unsere Vorräte aufgefüllt haben, breiten wir unsere nassen Sachen am Achensee-Ufer aus, machen uns im See frisch und ernten unverständliche Blicke von teuren Touristen. Hier verbringen wir den restlichen Nachmittag und gehen ein weiteres Mal genaustens unser Projekt durch. Um Gewicht zu sparen, kochen wir unsere Spaghetti direkt am See vor, radln erneut ins Tal hoch und schlagen unser Lager in ein paar wahnsinnig logistisch klugen Höhlen, unweit des Einstiegs, auf. Nach einem frühen Spaghettiabendessen liegen wir um halb 7 im Lager. Obwohl es viel zu warm ist, liegen wir  in den Biwak Säcken, weil es etwas von der Höhlendecke tropft.

Tag 4:

Das „Etwas“ wird dann über Nacht so viel, dass es alles andere als erholsame Stunden sind. So sind wir heilfroh als wir um 3:32 Uhr bei hellem Mondschein aus den Höhlen flüchten können. Endlich geht’s los!!

Wir radln ein Stückl hoch, laufen 5 Minuten ein Schotterfeld zum Einstieg und schon stehen wir am Fuße unseres Projektes. Mit dem ersten Morgenlicht starten wir um 5:15 Uhr in die Sonnjoch Südwand.

Jeder von uns klettert immer ca. 3 SL am laufenden Seil, dann wechseln wir. Die unteren Bachbetten sind noch recht brüchig, dafür kommen wir an viel Edelweiß vorbei. Die Kletterei wird nach oben hin schöner (wenn man mal kurz vergisst, dass wir zwischendurch statt am Fels kurz durch dichte Latschen kraxln). Die 11.SL (6+) macht dann schon richtig Spaß. Danach ham ma aber bissl an Schaß gmacht: das 60m 2er Gehgelände die Hälfte der Wasserrinne entlang, wird bei uns die ganze Rinne. Damit sparen wir uns zwar den 6er der 13. SL, was allerdings nicht so positiv ist, wie es sich anhört, da wir in vollem Schuttgelände landen und dort erstmal über 100 m queren müssen, ohne dass einer von uns irgendwo gesichert ist, was bissl spooky is über dem Wandabbruch. Mitten im 6er der 15.SL treffen wir dann wieder auf Bohrhaken und damit sehr erleichtert auf unseren Weg.

So steigen wir ganz ordnungsgemäß in die „splittrige“ 7- ein, welche sich als schöne Kletterei entpuppt. So haben wir nach bissl mehr als 5 Stunden die ersten 16 Seillängen hinter uns gebracht. Jetzt sind wir doch tatsächlich schon auf dem Biwakhöhlenbandl mit den luftigen Querungen angelangt, was von unten immer wahnsinnig weit oben in der riesigen Wand aussah. Jetzt ist der Hype da, wir sind total zuversichtlich, was nur kurz unterbrochen wird, als sich ein Tuber beim Anlehnen an die Wand vom Gurt löst und den hoffnungslosen Abflug macht. Doch wir sind nicht mehr zu stoppen und so geht’s von nun an halt zum Teil mim HMS weiter. Wie im Flug stehen wir dann auch schon vor den Schlüssellängen, wo wir von Haken in Abständen wie in der Halle begrüßt werden, was uns ziemlich zum Lachen bringt.

Doch wir wollen ja schließlich klettern und grade haben wir auch noch die Kraft dazu. Der erste 8er bietet wunderschöne Züge, die wir jeweils nur durch kurzes Reinsetzen unterbrechen. Der nächste Stand ist wirklich ungemütlich, deswegen machen wir uns gleich an den folgenden Platten-7er, der uns zusammen mit dem mittlerweile monstermäßigen Hunger ziemlich Kraft raubt und direkt im nächsten unbequemen Stand endet. Jetzt müssen wir dringend Energie nachschieben, wovon wir allerdings nicht mehr viel im Gepäck haben (bzw. auch nie hatten).

Auf dem Menüplan steht ein Hafervollkornmüsliriegel, dessen Inhalt zweifelhafte Fäden zieht. Wir schlingen ihn gierig runter, denn immerhin lebt er ja noch nicht und wir brauchen jedes Körnchen. Oder sollten wir besser sagen Fädchen, Energie, in welcher Form auch immer. Von dem halben Riegel kommt allerdings auch nicht der mega Anschub, und mit den 9 noch folgenden SL im Hinterkopf machen wir beim 2ten 8er kurzen Prozess: dieser wird grandios genullt, wir haben also keine Ahnung was für Züge er beinhaltet. Dann wird es zach. Nicht von der Schwierigkeit, aber jetzt merken wir langsam deutlich das long in der line. Durch eine kurze Verkletterei werden aus 2 SL 5er und 4er eine Länge komplette Kaminkletterei ohne Bolts in der zweiten Hälfte, wo der gute Freund am Gurt zum Einsatz kommt und von unsren 60er stricken kein Meter mehr übrig bleibt.

Jetzt geht’s ans Eingemachte, einfach noch durchhalten: Konzentration, Motivation, weiterklettern und klettern und klettern… Den nächsten 7er haben wir uns schnell raufgepiazt, noch n paar zerquetschte und endlich sind wir aufm Grat. Dort realisieren wir, wie hoch wir schon sind, was für eine Aussicht hier ist und was wir schon alles geklettert sind. Doch um die letzten 3 SL anzupacken müssen wir die letzten 2 Notriegel vernichten, die allerdings nicht wirklich Energie beinhalten. Aber wir reißen uns zam, nur noch ein 5er mit Stand an einem einzigen Schlaghaken im grasigen Geröllhang, dann nochmal seillos den Grat entlang wo wir als Stand zur letzten Länge eine Sanduhr über der eigentlich vorgesehenen SU fädeln.

In der letzten 6er Platte wartet jetzt richtig kompakter Fels auf uns mit wunderschönen Riesenlöchern. Doch unsre armen Köpfe und Körper können es nicht mehr so ganz genießen… Aber dann sind wir tatsächlich am letzten Stand beim Wandbuch angelangt. Wir können es nicht fassen. 14 Stunden haben wir in der Wand verbracht, 32 SL 7a+, 1700 Klettermeter, von 1280m auf 2340m, Herzschlag der Leidenschaft, Sonnjoch Südwand, 16.07.2022.

Überglücklich machen wir uns an die letzten Höhenmeter zum Gipfel. Als wir dort ankommen empfängt uns energievolle Musik von 3 Münchnern, die zum ersten Mal aufm Berg übernachten. Wir sind jetzt einfach nur noch total high, voll in unserem Moment, alles is lustig und alles andere gaaanz weit weg… Bei einer wunderschönen Abendstimmung, wo uns die Sonne nochmal mit ihren letzten Strahlen wärmt, laufen oder stolpern wir die 1200hm wieder vom Berg runter. Unsere Körper haben keine Spannung mehr, unsere Bäuche krampfen sich vor Hunger zusammen. Wir hoffen inständig dass wir aufm Gramaihochleger noch wen antreffen, der uns was zu essen gibt – aber vergebens. Nun wird es hart, die letzten paar hundert Höhenmeter ins Tal. Mit dem Hunger. Irgendwie und irgendwann (nach 18 Stunden auf den Beinen) schaffen wir es tatsächlich zurück ins Flussbett, wo wir unsere Sachen versteckt haben.

Dort machen wir uns über Brot und Nüsse her, bevor wir uns eine große Portion Nudeln kochen. Der Hunger hört einfach nicht auf, auch wenn unsere Mägen mit dem plötzlichen ersten gscheiden Essen an diesem Tag überfordert sind. So gut wie heute, haben wir schon lange nicht mehr geschlafen. Unter einem Wahnsinns Sternenhimmel, im trockenen Bachbett. Was für ein Tag!!!!!

Tag 5

Ohne Unterbrechung unseres Murmeltierschlafs wachen wir mit der Sonne im Gesicht auf. Wir spüren jeden Muskel an unserem Körper, aber uns geht es einfach nur unbeschreiblich gut. Doch schon nach wenigen Stunden beschließen wir, dass wir noch die nächste Longline anpacken müssen, das Fieber hat uns gepackt. Also doch kein Restday, auch wenn unsere Körper so danach schreien. Wenig später sitzen wir schon wieder auf den Rädern.

Da wir heute echt keine umständlichen Sachen gebrauchen können, pumpen wir Marens Problemradl prophylaktisch nochmal gscheid auf und schon schießen wir den Kasberg nach Jenbach runter. Kaum sind wir unten aufm Radlweg, müssen wir auch schon den Schlauch von Marens Radl flicken. Der hält dann aber sogar sicher eine ganze Stunde durch bis er komplett platt is. Voll genervt stehen wir in der Affenhitze – und das Radl mal wieder aufm Kopf.

Und das wo wir heute beide echt mal einfach nur nix machen könnten… Weiter geht’s, doch die letzten 40 km werden einfach nicht weniger. Und wir nicht kraftvoller. Nach Kaugummieewigkeiten kommen wir in Kufstein an und überfallen die Tankstelle an der Autobahn, um uns für die nächsten Tage einzudecken. Diesmal rüsten wir uns mit fast so vielen Power-Riegeln aus, wie wir SL vor uns haben (Lasche Frucht Riegel können wir für Longlines übrigens nicht empfehlen, da sprechen wir aus krampfiger Erfahrung). Wir schleppen uns ins erst beste Wäldchen wo 2 Spezies auf uns warten, die uns den Abend und die Nacht versüßen: Zecken und Mücken. Am Bach waschen wir uns die SonnencremeSchweißKettenölLegierung von den Körpern und gleich geht’s uns viel besser!

Tag 6

Da wir uns gestern ja so richtig schön erholt haben, geht dieser Tag auch gleich wieder besonders entspannt los. In der prallen Sonne as Kaisertal hoch, bis zur Anhöhe am Wandfuß der kleinen Halt. Wir verbringen einen wunderbaren Abend an diesem magischen Ort und legen uns früh in die Schlafsäcke. Solch eine Aussicht beim Einschlafen hat man wirklich nicht alle Nächte…

Tag 7:

Um 3:00 in der Früh klingeln unsere Wecker. Der Sternhimmel ist atemberaubend schön, aber die letzten Tage machen sich in unseren Körpern bemerkbar. Wir machen uns auf den Weg zum Einstieg, den wir allerdings erst mal ganz schön lange suchen müssen. Es ist aber nicht dem ganzen Team wohl bei der Sache mit halb vollem Energietank in die lange Wand… Und somit beschließen wir es für heute nicht anzugehen. Die Via Aqua wartet auf uns...

Manchmal frisst du den Bären und manchmal der Bär dich.

OkeDankeCiao.

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